„Schleuser-Skandal: Solinger OB will Anwaltskosten von mehr als 200.000 Euro vom Steuerzahler zahlen lassen“
Kölner Stadtanzeiger; ksta.de, 05.12.2024
Mit dieser Schlagzeile weckt uns die wichtigste Kölner Lokalzeitung kurz vor Nikolaus. Und tatsächlich: pünktlich zur Nikolausfeier wünscht sich der Solinger OB Tim Kurzbach ein ganz besonderes Präsent: die Übernahme von bestätigt überreichlichen Anwaltskosten für eigene, höchst-persönliche Verfehlungen. Bevor wir in Darstellung und Wertung tiefer einsteigen, möchte ich Sie einen Moment in eine rein fiktive Geschichte entführen.
Ein Produkt meiner blühenden Phantasie als „Gedankenexperiment“
Stellen Sie sich bitte einen Moment lang vor, sie seien der Präsident oder Geschäftsführer des fiktiven Karnevalsvereins „Fidele Schlieper vom 27.09.2015 e.V.“. Ihr geschäftsmäßiger Auftrag laut Vereinssatzung ist die Bewahrung und Förderung regionaler Brauchtumspflege im Karneval. Mit der Satzung ist Ihr Auftrag und Handlungsspielraum hinreichend klar und eindeutig umrissen. Was Sie im Amt dürfen, und was nicht, das steht fest. Wenn Sie sich nicht daran halten, klopfen Ihnen die Vorstandskollegen auf die Finger. Auslöffeln dürfen Sie die Suppe in jedem Fall selbst.
Wenn Sie karnevalistische Unterhaltungskräfte für geplante Sitzungen verpflichten wollen, dann können Sie das qua Amt durchaus machen. Sofern Sie aber zweifelhafte „Unterhaltungskünstler“ für viel Geld aus der Vereinskasse anheuern (z.B. Voodoo-Zauberer aus Ghana; Geishas als Expertinnen für die Tee-Zeremonie; Regenmacher aus Texas gegen den wirtschaftlichen Niedergang etc.), und denen zusätzlich noch Zugang zu Ressourcen Ihres Vereins ermöglichen, dann wird die Sache brenzlig. Nicht nur, daß diese netten Menschlein aber auch rein gar nichts mit dem hiesigen Karneval zu tun haben, Nein, Sie setzen die Ihnen anvertrauten Vereinsressourcen einschließlich Ihrer Arbeitszeit für eigene, höchst persönliche Leidenschaften und Neigungen ein. Sofern Sie von den zweifelhaften Künstlern für deren Buchung auch noch Geld annehmen, haben wir einen glasklaren Fall von Untreue und Korruption. Sie nutzen Ihr Amt und die Möglichkeiten Ihres Amtes, um sich persönlich zu bereichern. Die Schmiergeldannahme an sich folgt natürlich einem rein privaten Bereicherungsmotiv, und hat nichts mit Ihrem Amt zu tun. Wenn Sie dann noch Ihre Vorstandskollegen damit belästigen, Ihnen exorbitante Anwaltshonorare aus der Vereinskasse zu spendieren, wird man Ihnen vermutlich einen dicken Vogel zeigen, und Sie werden aus dem Verein geworfen.
Märchenerzählung und Wirklichkeit
Daß die Realität oftmals weit absurdere Blüten treibt als die Phantasie, hat der aufmerksame Leser, erprobt an den unfassbaren Ambitionen und Zumutungen politischen „Führungspersonals“ auf höherer Ebene, längst geahnt. Und bei uns hat doch tatsächlich ein angezählter OB die Unverschämtheit, seine beabsichtigte Wiederwahl-Kandidatur als Argument für Höchst-Honorarforderungen von Top-Anwälten ins Spiel zu bringen! Argumentation: weil ich möglicherweise korrupt bin (wir wissen es derzeit noch nicht definitiv), aber evtl. wieder als OB kandidieren möchte, deshalb müssen die Ermittlungen gegen mich möglichst zeitnah eingestellt werden. Für so eine Aktion braucht es eben die besten Anwälte; und die sind teuer,- bis zu 200.000 € im ersten Hieb. Außerdem drängt die Zeit, aber für einen aufrechten Sozen ist das Beste gerade gut genug.
Zufällig ist da noch zur Deckung erhöhter Anwaltskosten erst Anfang September eine neue Dienstanweisung vom städtischen Verwaltungsvorstand beschlossen worden (vgl. RP/ SMP vom 06.12.2024, S. C1, „Anwaltskosten des OB über 200.000 Euro“). Passend zu einem Erlass des Landes NRW aus 2020, und erst recht passend zur Causa „Kurzbach“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Bekanntlich erlangte die sogen. „Schleuser-Affäre“ bundesweite Aufmerksamkeit mit den Razzien vom 17. und 18. April 2024, bei denen insgesamt über 100 Objekte durchsucht wurden, mehrere davon auch in Solingen (Wirtschaftsförderung, Ausländerbehörde, Firmen und Privaträume). Zum Kreis der Beschuldigten in diesem Komplex gehörten zunächst 58 Personen, darunter auch der OB Tim Kurzbach, und der Beigeordnete Jan Welzel; vgl. hierzu FOCUS.online, 04.06.2024 „Reiche Chinesen nach Deutschland geschmuggelt: Ermittler nehmen Großstadt-OB ins Visier“. Daß einige Vertreter respektabler Institutionen (z.B. IHK oder Konsulate) bereits vor vielen Jahren Zweifel an den auch in Solingen geübten Praktiken hatten, wurde ausführlich in den Medien geschildert; vgl. etwa: RP/ SMP vom 10.07.2024, S.C4, „In der Schleuser-Affäre gab es schon 2018 klare Warnungen“. Auch wurde stets darauf hingewiesen, daß die Informationsbereitschaft aus Richtung OB bzw. Rathaus als äußerst dünn eingeschätzt wird. Noch am 11.11.2024 wollte sich der OB im SMP-Interview nicht auf weitere Details einlassen, nachdem kurz zuvor (07.11.2024) ein weiterer Beschuldigter, nämlich der Dürener Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU), vorläufig vom Dienst enthoben wurde.
Rechtfertigungsversuche, windschiefe Vergleiche und „Wettkampf um Wut“
Vor dem Stadtrat hat sich Tim Kurzbach nun auch geäußert. Und wie zu erwarten war, sieht sich der feine Herr und mutmaßliche Schleuser-Unterstützer im Recht, und bestreitet die Vorwürfe der Unangemessenheit seiner Forderungen. Die im SMP-Artikel „Kurzbach nimmt Stellung zu den Anwaltskosten“ (RP/ SMP, 07.12.2024, S. C1) berichteten Argumente wirken allerdings abwechselnd dünn, sachfremd, oder völlig überzogen. So ist es sehr wohl ein „tragfähiges Argument“, den Vergleich mit Anwaltskosten anderer Beteiligter zur Beurteilung angemessener und verhältnismäßiger Kosten heranzuziehen. Ein Vergleich zum Loveparade-Prozeß ist allerdings völlig daneben, zumal es dabei meines Wissens nicht primär um persönliche Bereicherungen im Amt ging. Die möglichen Kurzbachverfehlungen in diesen Kontext zu stellen und derart aufzublasen, ist allerdings ein Schlag ins Gesicht aller Loveparade-Opfer!
Sein Gejammer über das „Risiko des privaten und finanziellen Ruins“ ist vermutlich auch nur noch für dauerbekiffte hard-core Sozen nachvollziehbar. Das Grundprinzip dahinter heißt „skin-in-the game“ und bedeutet, wer sich dazu entschließt kriminelle Handlungen zu begehen, muß für die Folgen einstehen. So ist das in einem Rechtsstaat. Sollte sich Herr Kurzbach als unschuldig erweisen und vor Gericht freigesprochen werden, hat er nicht das Geringste zu befürchtet. Selbst ein früherer Solinger Soze in weitaus höherem Amt konnte, trotz finanziellem Mega-Skandal („Nürburgring-Skandal“; Untreuevorwurf und uneidliche Falschaussage), noch mit Milde rechnen. Er war im Vollzug recht schnell Freigänger, und seine Haftstrafe war genau so kurz bemessen, daß er sämtliche Versorgungsansprüche behalten durfte. Anfang 2022 wurde er sogar vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Rede ist von Ingolf Deubel, ehemaliger Solinger Oberstadtdirektor, verdienter SPD-Recke, und am Ende gescheiterter Finanzminister von Rheinland-Pfalz und Knacki.
Schlimmer geht immer
Wer aber glaubt, daß anläßlich der gekrampften Stellungnahme des OB das sichere, untere Ende des Niveaus erreicht war, der hatte noch nicht die Rechnung mit Ernst Lauterjung (SPD) gemacht. Wie ein getroffenes serviles Hündchen seinem Herrchen zur Verteidigung eilt, muß es nach Kritik an den OB-Erzählungen zu lautem Gekläffe von Lauterjung an die Adresse der Kritiker gekommen sein. Und dabei wurde das ganz große Rad gedreht: wer Kritik übt und Akteneinsicht nutzt, der betreibt das Geschäft der Extremisten! Fehlte nur noch „Haß & Hetze“ und das N-Wort!
Allen Ernstes: an die kritisierende CDU wurde der Vorwurf gerichtet, sie „vergifte das politische Klima“, sie steige ein in einen „Wettkampf um Wut“, von dem nur „Extremisten profitieren“. O-Ton Hr. Flemm (zit. nach Artikel in RP/ SMP, 07.12.2024, S. C1,-s.o.): „Hier wird vertuscht, hier wird verleugnet, hier wird verdreht. … Es wird öffentlich gelogen.“