Kommunale Haushaltssteuerung und endogene Verschuldungsursachen

9. Dezember 2024

AfD Solingen » Wirtschaftspolitik » Solingen und NRW » Kommunale Haushaltssteuerung und endogene Verschuldungsursachen

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Kommunale Haushaltssteuerung und endogene Verschuldungsursachen

9. Dezember 2024

Schuld sind immer „die Anderen“

Auch im „Herbst der Entscheidungen“ gab es noch wichtige politische „Dauerbrenner“, die allerdings in der öffentlichen Diskussion nicht mehr die Aufmerksamkeit fanden, die ihnen zusteht. Eines dieser wichtigen Themen ist die kommunale Verschuldung, und die Lösung der sogen. „Altschuldenproblematik“. Bekanntermaßen hängt von der Verschuldung, und dem zu leistenden Schuldendienst, in erheblichem Maße der finanzielle Spielraum, und damit die politischen Gestaltungsmöglichkeiten einer Kommune ab. In der Öffentlichkeit wird diese Thematik meistens im Kontext exogener Verschuldungverursachung dargestellt. Schuld an der Misere sind demnach Sachverhalte und Akteure außerhalb der Kommune (z. B. in NRW: besondere Lasten wegen Strukturanpassungen; Vielzahl übertragener Aufgaben von Bund und Land, die nicht auskömmlich von den „Verursachern“ finanziert werden,- also Verstöße gegen das Konnexitätsprinzip). Daher möchte ich heute den Fokus auf eine angewandt institutionenökonomische Sichtweise lenken, und nach endogenen Ursachen Ausschau halten. Im Vordergrund stehen hier die konstitutionellen Gegebenheiten der Kommunalverfassungen, und die daraus resultierenden Aktionspotentiale der Bürgermeister, gerade auch unter haushaltspolitischem Blickwinkel.

Kommunalverfassungen und „starke“ Bürgermeister

Ausgangspunkt der Analysen (s. Literaturangaben) ist ein Vergleich der Kommunalverfassungen von Baden-Württemberg (BW) und NRW hinsichtlich der relativen Stärke der Stellung von Bürgermeistern. Diese Länder eignen sich besonders zur Unterscheidung, da sie gleichsam die Gegenpole hinsichtlich Verschuldungsgrad und Stärke ihrer Bürgermeister darstellen. Die Arbeitshypothese lautet stark vereinfacht: je unabhängiger, professioneller und kraftvoller ein Bürgermeister gegenüber den beiden Mitspielern „Verwaltung“ und „Rat“ auftreten und agieren kann, desto weniger häufig wird er zum Spielball in parteipolitischen Ränkespielen, bzw. zum rein willfährig ausführenden „Mehrheitsdiener“. Ein starker Bürgermeister (und Kämmerer) wird eher eine seriöse Haushaltspolitik betreiben, und notwendige Konsolidierungen wird er entschlossener umsetzen. Hingegen wird ein schwacher Amtsinhaber tendenziell dazu neigen, ausgabeintensiven Forderungen nachzugeben, und eher soziale Wohltaten und Prestigeprojekte auf die Schiene zu setzen. Eine harte Haushaltsdisziplin ist von ihm weniger zu erwarten.

Grundlegende Unterschiede der Kommunalverfassungen

Auch wenn mit der Reform der Gemeindeordnung 1994 in NRW eine Annäherung an die sogen. „süddeutschen“ Ratsverfassungen eingeführt wurde, sind die Unterschiede in der Praxis auch nach 25 Jahren noch nicht annähernd abgeschliffen. 25 Jahre, weil erst 1999 in NRW mit der ersten Direktwahl der (Ober-) Bürgermeister eine Abschaffung der sogen „Doppelspitze“ (oder: „Mehrgleisigkeit“) vollzogen wurde. Im Unterschied zu NRW vereinigt der Bürgermeister in BW eine Reihe besonderer Eigenschaften in seiner Person. Er wird direkt und unabhängig von den Ratsmitgliedern gewählt, ist durch diese Wahl Mitglied und Vorsitzender in Rat und allen Ausschüssen, und natürlich Chef der Verwaltung. Der entscheidende Unterschied zu NRW ist jedoch die rein personalisierte Wahl, das Verbot der Parteinominierung, die mit acht Jahren recht lange Amtszeit, mit der Unmöglichkeit einer Abwahl. Weil in BW mit rund 1.100 Bürgermeistern die Wahlen nicht zentral synchronisiert sind, finden in BW im Grunde ständig Bürgermeisterwahlen statt. Außerdem entstammen die Kandidaten in der Regel nicht ihren Heimatgemeinden.

Typische Kandidatenprofile und konkordanzdemokratische Amtsführung

Aufgrund der jahrzehntelangen Tradition mit direkt gewählten Bürgermeistern, hat sich in Ländern mit „süddeutscher“ Ratsverfassung ein typisches Kandidatenprofil herausgebildet. Die Bürgermeister in BW verfügen i.d.R. über ein abgeschlossenes Studium an einer Verwaltungshochschule, bzw. sind Volljuristen oder Ökonomen mit Universitätsstudium, in Großstädten nicht selten promoviert. Wegen der guten Dotierung, der vielfältigen und permanent bestehenden landesweiten Möglichkeiten, und der langen Amtszeiten mit hoher Wiederwahlchance, ist die Karriereoption eines Wahlbeamten an kommunaler Spitze („Konzern Stadt“) eine solide Herausforderung für besonders qualifizierte Verwaltungsprofis. Derartig qualifizierte Amtsinhaber werden in Verwaltung, Rat und Öffentlichkeit überdies völlig anders wahrgenommen als bei uns. Es macht eben einen entscheidenden Unterschied, ob ein Bürgermeister (-Kandidat) spontan sachlich-rechtlich zutreffende Aussagen zu relevanten Sachverhalten machen kann, oder bei jeder Kleinigkeit erst das Rechtsamt befragen muß. Die Geschäftsführung wird damit tendenziell stärker sachorientiert, auf Ausgleich bedacht, aber auch sehr frühzeitig an Kriterien der finanziellen Machbarkeit ausgerichtet.

In Ländern mit typischerweise stärker parteipolitisch und konkurrenzdemokratischer Orientierung wie NRW, können sich hingegen auch unqualifizierte Kandidaten mit entsprechend starkem Parteihintergrund durchsetzen.Voraussetzung: sie haben genügend Zeit und Mittel für die „Ochsentour“ durch die Stammtische und Parteigremien, bzw. eine entsprechende Wahlkampfunterstützung der Parteien zur Täuschung und Tarnung gegenüber der Öffentlichkeit. Daher besteht in NRW eine erhebliche Begünstigung weniger qualifizierter Kandidaten, bis hin zu „obskuren“ Personen: Lehrer, in der Öffentlichkeit bekannte Agitatoren, „zivilgesellschaftlich“ präsente Figuren und Personal von Wohlfahrtseinrichtungen, ggf. bestimmte Freiberufler (sofern Anwalt, geht es ja noch: immerhin Volljurist!). Daß hier eher Klientel- und Parteipolitik betrieben wird, dürfte auf der Hand liegen. Solide Haushaltspolitik wird damit zum Zufallsprodukt. Die nachfolgend genannten Studien weisen genau diese Sachverhalte nach, und es wäre ein lohnendes Langfristprojekt, von der „best-practise“ süddeutscher Länder zu lernen. Bemühungen zur Änderung des Status-Quo in NRW sind leider bisher immer von den Altparteien zielgerichtet torpediert worden.

Übersicht: Kommunale Verschuldung und Kassenkredite pro Kopf

NRWBaden-Württemberg
Lä. & Gemeinden 201912.3704.762
Komm. Schulden 20234.752,-4.034,-
Kassenkredite 20191.261,-22,-
Kassenkredite 2019ca. 40% / > 1.000,-s. u.
2023: Kassenkredite (Kredite zur Liquiditätssicherung) spielten mit einer Höhe von knapp 332 Mill. Euro bzw. einem Anteil von 4,3 % an den Schulden, wie in den Vorjahren, anders als in anderen Bundesländern, insgesamt lediglich eine untergeordnete Rolle. Statistisches Landesamt BW
Kommunale Schulden pro Kopf 2023; Bundesdurchschnitt: 4.133,- €.

Literatur
Bogumil, J., Holtkamp, L., et.al.: Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite, PVS, 55.Jg., Heft 4/ 2014, S. 614-647.
OB´s und Stadtkämmerer Ruhrgebiet und Bergisches Land: 4. Memorandum „Wege aus der Schuldenfalle“, 2008.
Timm-Arnold, K.-P.,: Bürgermeister und Parteien in der kommunalen Haushaltspolitik. Endogene Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite, 2011.
Witt, P.: Karrierechance Bürgermeisteramt. Leitfaden für die erfolgreiche Kandidatur und Amtsführung, Stuttgart, 3. Aufl., 2022. Hier v.a. Kap. 7, S. 148-172, und Kap. 10, S. 205-217.

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