Deutschland in der schwersten Strukturkrise seit Jahrzehnten
Daß die deutsche Autoindustrie samt Zulieferer mittlerweile fast zum Fall für die „Palliativmedizin“ geworden ist, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Werkschließungen und geplante Verlagerungen von Produktionsstandorten werden mit einer Selbstverständlichkeit angekündigt wie die täglichen Wetternachrichten. Die Entlassungswelle in der Kern- und Zulieferindustrie will nicht abebben. Sie entwickelt sich zunehmend zum wirtschaftlichen Tsunami. Zum Super-GAU und zur Bankrotterklärung des deutschen politischen Attentismus, und der systematischen, ideologisch gewollten Fehlsteuerung.Wollen sie uns zu einem Volk von Bürgergeld-Knechten machen?
In NRW gibt es (noch) Autoproduktion, vor allem aber mit über 800 Unternehmen eine bis vor wenigen Jahren vitale Auto-Zulieferindustrie. Rund 200 Autozulieferer befinden sich im bergischen Städtedreieck. Die bergischen Städte bilden damit einen Schwerpunkt der NRW-Zulieferindustrie.
Nach einigen Hiobsbotschaften aus den Nachbarstädten in 2024, trifft es ganz aktuell einen traditionsreichen Felgenhersteller aus Solingen, Accuride Wheels GmbH, ehemalig Kronprinz, in Solingen an der Weyerstraße (AG Wuppertal, 05.02.2025, Az.: 507 IN 17/25). Die Ursprünge reichen zurück ins Ende des vorletzten Jahrhunderts. Generationen von fleißigen Solinger Arbeitnehmern und ihre Familien fanden dort, teils über Jahrzehnte, Arbeit und Auskommen. Kaum jemand in Solingen, der nicht jemanden kannte der dort arbeitete. Nun stehen über 400 Mitarbeiter vor einer ungewissen Zukunft.
Riesige „runde Tische“: Projekte und Papiere
Projekte zur geregelten Transformation (z.B. TrAIBer.NRW) bewirken außer Arbeitsverdichtung bei strategischen „Vordenkern“ im konkreten Einzelfall: leider gar nichts. Trotz der großen Schlagworte sind diese Großprojekte eben oft zu ambitioniert, zu schwerfällig, zu langsam. Am riesigen „runden Tisch“ werden jede Menge Projekte angestoßen, „Paper“ vorbereitet und produziert, allerdings ohne Durchschlag auf die reale Produktion anfaßbarer und handelbarer Güter. Ohne Wirkung auf Beschäftigung in der betroffenen Industrie. Und ohne nennenswerte Unterstützung durch die Politik. Weder bezüglich der relevanten Rahmenbedingungen in der „Großwetterlage“ (Steuern, Abschreibungen, Energiepreise, Bürokratie), noch in den kleinen Schritten, die sich eventuell auch auf andere Bereiche übertragen lassen (z.B. Gemeinschaftslehrwerkstatt GLW Velbert mit Befragungen wie „Azubi-Kompass“, oder deren Kooperationen mit Schulen zur Förderung des MINT-Nachwuchses mit Praktika und Technik-AG´s).
Am 27.08.2024 fand der dritte Workshop der Reihe „Strategiedialog“ des Projektes TRAIBER.NRW statt. Die Veranstaltung wurde beim gastgebenden Unternehmen, der Accuride Wheels Solingen GmbH durchgeführt. Teilgenommen haben mehr als 30 Vertreter:innen von regionalen Akteuren, Unternehmen und Verbänden (s. Website von TrAIBer.NRW; Gendersprech im Original der Website!).
Geholfen hat es nichts, Accuride Wheels Solingen GmbH mußte jetzt Insolvenzantrag stellen. Am Tag des Workshops glänzte Simon Keilwagen (Geschäftsführer Accuride) noch mit Impulsen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels in der Automobilindustrie. Kernpunkt sei die Vernetzung von Schule, Betrieben und Elternhäusern. Recht hatte er, und einzelne Initiativen (z.B der GLW Velbert) gehen in die richtige Richtung. Das „Fachkräfteproblem“ dürfte sich für Hr. Keilwagen und Accuride allerdings nunmehr erledigt haben.
Autogipfel 2024 und Brandbriefe im Januar: Symbolik der Hilflosigkeit
Im Land der „großen Gesten“ (Armin Nassehi) wird viel geredet, Expertise gewälzt, bürokratisch hypertroph verwaltet, und transformative Disruption beschworen. Das Problem ist nur: von all dem großkopferten Geschwätz zur Weltenrettung ist noch kein normaler Arbeitnehmer satt geworden, oder konnte davon seine Miete bezahlen. Handelt es sich also um Elitenprojekte der Edelfedern und Star-Schwätzer dieser Republik, die alleine diejenigen nährt, die die angesagten Narrative im Schlaf herunterbeten können, und pausenlos in den Talkshows dieser Republik vortragen?
Offensichtlich ist das so, denn sonst wäre es nicht erklärbar, daß die Vertreter der großen Verbände unserer Industrie inzwischen schonungslos Klartext reden.
Stefan Wolf (Präsident Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie und bis 2020 Chef des Auto-Zulieferers Elring-Klinger) macht klar: „Die Industrie wird in den nächsten fünf Jahren noch deutlich mehr Arbeitsplätze verlieren. Schon jetzt ist der Stellenabbau real, seit zehn Monaten in Folge.“ („Wir können die Arbeitsplätze nicht erhalten“; Hervorhebung im Original; WamS, 19.01.2025, S. 16). Allerdings weist Hr. Wolf auch auf Verwerfungen hin, die in dieser Form nicht nachvollziehbar oder tragbar sind.
In der Metall- und Elektroindustrie arbeiten derzeit noch 3,91 Mio. Beschäftigte, und gleichzeitig werden 157.000 qualifizierte Fachkräfte aus diesen Bereichen als Arbeitslose verwaltet. In M & E-Berufen gibt es gleichzeitig 130.000 offene Jobs und 12.000 unbesetzte Ausbildungsstellen. Nimmt man die Gesamtzahl an MINT-Berufen, in denen eine Arbeitsmarktdrehscheibe durch geeignete Qualifizierungsmaßnahmen funktionieren könnte, ergibt sich sogar ein Potential für die Beschäftigung in nah verwandten Berufen von über 800.000 Stellen bundesweit! Von wegen Arbeitskräftemangel.
Eine Woche nach dem Interview von Hr. Wolf berichtet das Handelsblatt vom Brandbrief der Autozulieferer an den Abdankungskanzler (HB, Nr. 17, 24.- 26.02.2025, S. 24 f., „`Tiefe Sorge´ – Zulieferer appellieren an Scholz“). Auch in diesem Artikel wird auf die Verluste an Arbeitsplätzen in der Zulieferindustrie hingewiesen. Noch im Jahr 2018 konnten ca. 311.000 Menschen dort beschäftigt werden, Ende 2023 nur noch 273.500. Über die verlorenen Jobs von Bosch (- 12.000), ZF (- 14.000), Continental (- 19.000) wurde in der Wirtschaftspresse wiederholt berichtet. Gemeinsam mit Schaeffler, Mahle und der IG Metall-Chefin Christiane Benner richteten sie einen letzten Appell an Scholz, die Automobilindustrie und Deutschlands Zukunft als Industriestandort zu stärken. Bekanntlich passierte nichts; – die öffentlich wahrgenommene Aktivität des Bundestages in der letzten Sitzungswoche vor der Bundestagswahl richtete sich fast ausschließlich auf das Show-Gehabe des Kanzler-Herausforderers zur Migrationspolitik. Wirtschafts- und Migrationspolitik: allen Geschehnissen und dramatischen Erfahrungen der letzten Zeit zum Trotz herrscht der absolute Stillstand!
Es gibt sicher viele gute Gründe, auch die Managementfehler deutscher Automobilkonzerne und ihrer Zulieferer zu beleuchten und zu thematisieren. Es ist sicher kein Zufall, wenn die Produktivität und die Wertschöpfung bei VW nur halb so hoch ist wie beim Konkurrenten Toyota. Oder wie es sein konnte, daß VW in der zweiten Dekade 100 Mio. € an Abfindungen für Kurzzeit-Vorstände verpulvert hat. Von früheren Lustreisen von Gewerkschaftern ganz zu schweigen.
Ganz sicher stellen Subventionen mit der Gießkanne für einzelne Betroffene mit dem lautesten Geschrei keine Lösung dar.
Es helfen nur: Technologieoffenheit, Energiekosten runter, Investitionsanreize durch bessere AfA-Bedingungen, Steuern runter, MINT-Bildung rauf, Infrastruktur stärken, Bürokratie verschlanken durch konsequente Digitalisierung unter verlässlichen, gesetzlichen Rahmenbedingungen.